Standsicherheit einer Maschine berechnen

Der tragische Unfall mit einem Baukran verdeutlicht, wie wichtig die Standsicherheit von technischen Anlagen ist.
In diesem Artikel möchten wir Ihnen die Grundlagen der Standsicherheit näherbringen und die Berechnung des Standsicherheitsfaktors anhand eines einfachen Beispiels erläutern. Die hier vorgestellte vereinfachte Berechnungsformel findet man häufig im Grundlagenstudium vieler Hochschulen, wo sie für nahezu alle Maschinentypen eingesetzt wird.
Möchten Sie über die theoretische Betrachtung der Standsicherheit hinausgehen und beispielsweise eine Maschine produzieren und in den Verkehr bringen, reicht diese Form des Standsicherheitsnachweises nichts aus. In Europa müssen Maschinen die Vorgaben der Maschinenrichtlinie bzw. einer entsprechenden harmonisierten Norm erfüllen.
Ein Beispiel für eine solche Norm ist die DIN EN 280, die genaue Vorgaben für den Standsicherheitsnachweis einer fahrbaren Hubarbeitsbühne enthält – z. B. für anzusetzende Windlasten, Nutzlasten und dynamische Kräfte. Um eine Maschine normgerecht zu entwickeln, müssen diese und weitere Anforderungen berücksichtigt und in den Berechnungen nachgewiesen werden.
Dreh-, Stand- und Kippmoment: Grundbegriffe zur Beurteilung der Standsicherheit
Bevor wir erklären können, wie die Standsicherheit einer Maschine beurteilt wird, müssen die Begriffe Drehmoment, Standmoment und Kippmoment bekannt sein.
Drehmoment
Ein Drehmoment ist das Produkt aus Kraft und Hebelarm. Das bedeutet: Je größer die Kraft oder je länger der Hebelarm, desto größer ist auch das Moment, welches auf das Bauteil wirkt.
Den Zusammenhang zwischen Kraft, Hebelarm und Drehmoment kann man leicht anhand eines einfachen Beispiels veranschaulichen: dem Lösen einer fest sitzenden Schraube mit einem Schraubenschlüssel. Sitzt die Schraube fest, gibt es zwei Möglichkeiten, das Drehmoment zu erhöhen:
- Erhöhung der Kraft: Man drückt stärker auf den Schraubenschlüssel, um die Schraube zu lösen.
- Verlängerung des Hebelarms: Man verwendet einen längeren Schraubenschlüssel oder setzt ein Rohr als Verlängerung auf den Schlüssel.
Standmoment
Als Standmoment wird die Summe aller Momente bezeichnet, die das Kippen einer Maschine verhindern wollen. Diese Momente entstehen beispielsweise durch Kontergewichte oder das Eigengewicht der Maschine.
Ob das Eigengewicht der Maschine zu den Stand- oder zu den Kippmomenten beiträgt, hängt von der Lage der Kippkante und dem Schwerpunkt der Maschine ab – aber dazu später mehr.
Kippmoment
Das Kippmoment ist die Summe aller Momente, die die Maschine umkippen wollen. Erzeugt werden diese Momente beispielsweise durch den angreifenden Wind oder durch Lasten, die über die Kippkante hinausragen.
Berechnung der Standsicherheit
Eine Maschine steht immer dann sicher, wenn die Standmomente größer sind als die Kippmomente. Um die Standsicherheit einer Maschine zu beurteilen, müssen daher alle stabilisierenden und destabilisierenden Kräfte berücksichtigt werden.
Zur Verdeutlichung möchten wir die Ermittlung der Standsicherheit anhand eines einfachen Würfels erklären.
Würfel auf einer geraden Fläche
In diesem Beispiel betrachten wir einen Würfel mit einer Kantenlänge von einem Meter und einer Masse von zehn Kilogramm. Der Würfel ist einem Winddruck von 70 N/m² ausgesetzt. Wir gehen davon aus, dass der Würfel eine homogene Dichte besitzt und sein Schwerpunkt somit genau in der geometrischen Mitte liegt.
Die folgende Skizze illustriert die Ausgangssituation visuell:
Gewichtskraft
Um die Standsicherheit zu bewerten, müssen wir sowohl die wirkenden Kräfte als auch ihre Hebelarme bestimmen. Daher ermitteln wir zunächst, wo die Kräfte angreifen und wie groß sie sind.
Da die Dichte des Würfels überall gleich (homogen) ist, befindet sich sein Schwerpunkt genau in der geometrischen Mitte. Die Gewichtskraft greift immer am Schwerpunkt eines Körpers an und wirkt in Richtung des Erdmittelpunktes. Somit ist der erste Angriffspunkt bekannt. Nun müssen wir die Größe der Gewichtskraft berechnen, die sich mithilfe der folgenden Formel bestimmen lässt:
Windkraft
Nachdem die Gewichtskraft berechnet wurde, müssen wir nun bestimmen, wo die Windkraft angreift und wie groß diese ist.
Aus der oben gezeigten Skizze lässt sich erkennen, dass der Wind gleichmäßig auf die linke Seite des Würfels drückt. Anstelle der Flächenlast, die durch den Wind hervorgerufen wird, können wir daher auch eine große Kraft annehmen, die genau auf die Mitte der linken Fläche drückt. Der Angriffspunkt der Windkraft ist damit bekannt.
Die Größe der Windkraft lässt sich anhand der Abmessungen des Würfels und des gegebenen Winddrucks berechnen. Die Windangriffsfläche des Würfels ist:
Somit beträgt die Windkraft:
Die aktualisierte Skizze zeigt nun die Gewichtskraft und die Windkraft:
Von der Kraft zum Drehmoment
Da wir nun sowohl die Gewichtskraft als auch die Windkraft kennen, stellt sich die Frage, welche Hebelarme relevant sind. Um dies zu klären, müssen wir wissen, wo die Kippkante der betrachteten Maschine — in diesem Fall des Würfels — liegt.
Diese Frage kann bereits durch Betrachtung der Skizze beantwortet werden. Welche Kraft versucht in unserem Beispiel, den Würfel umzukippen? Richtig, die Windkraft. Wenn die Windkraft von links auf den Würfel drückt, wird der Würfel im schlimmsten Fall über die rechte Kante kippen.
Kräfte dürfen entlang ihrer Wirkungslinie verschoben werden. Der Hebelarm ist der kürzeste Abstand zwischen der Wirkungslinie einer Kraft und der Kippkante. In unserem Beispiel beträgt der Hebelarm jeder Kraft, sowohl der Gewichtskraft als auch der Windkraft, genau die Hälfte der Kantenlänge des Würfels.
Die Drehmomente lassen sich somit wie folgt berechnen:
Besteht Kippgefahr?
Wie bereits erwähnt, versucht die Windkraft, den Würfel umzukippen, während die Gewichtskraft den Würfel auf den Boden drückt und somit stabilisierend wirkt. Die Gewichtskraft erhöht das Standmoment, während die Windkraft zum Kippmoment beiträgt.
Da in diesem Beispiel keine weiteren relevanten Kräfte oder Momente vorhanden sind, entscheiden allein die Windkraft und die Gewichtskraft über die Standsicherheit des Würfels. Das Standmoment der Gewichtskraft ist größer als das Kippmoment der Windkraft. Somit besteht keine Gefahr, dass der Würfel kippt.
Würfel auf einer Rampe
Im zweiten Beispiel möchten wir zeigen, wie sich die Einsatzbedingungen auf die Standsicherheit einer Maschine auswirken. Der Würfel aus dem ersten Beispiel befindet sich nun nicht mehr auf einer ebenen Fläche, sondern auf einer Rampe mit einer Neigung von 30°. Im Alltag findet sich diese Situation relativ häufig, etwa wenn ein Fahrzeug an einer Böschung abgestellt wird.
Wir nehmen an, dass die Kräfte und deren Angriffspunkte unverändert bleiben und den gleichen Bedingungen wie im ersten Beispiel entsprechen. Dadurch ergibt sich die folgende Ausgangslage:
Da die Angriffspunkte der Kräfte bekannt sind, müssen die Kippkante und die relevanten Hebelarme bestimmt werden. Sind die Wirkungslinien der Kräfte in der Skizze eingezeichnet, wird schnell ersichtlich, warum eine Rampe oder Schräge die Kippgefahr erhöht.
Während sich der Hebelarm der Windkraft nicht verändert hat, ist der Hebelarm der Gewichtskraft deutlich kleiner geworden. Bisher hat die Gewichtskraft das Umkippen des Würfels verhindert. Da sich das Drehmoment proportional zum Hebelarm verhält, lässt sich bereits jetzt feststellen, dass der Würfel auf der Schräge einer deutlich höheren Kippgefahr ausgesetzt ist.
Die Berechnungen ergeben im vorliegenden Fall folgende Drehmomente:
Da das Kippmoment nun größer ist als das Standmoment, würde der Würfel in diesem Fall über die rechte Kante kippen.
Wird die Rampe steiler, verstärkt sich dieser Effekt weiter. Ein besonderer Punkt ist erreicht, wenn die Wirkungslinie der Gewichtskraft nicht mehr links, sondern rechts von der Kippkante liegt. Half das Gewicht des Würfels bis zu diesem Punkt immer ein Kippen zu verhindern, so würde es nun sogar ein Kippen des Würfels begünstigen. Sowohl die Windkraft als auch die Gewichtskraft tragen mit ihren Drehmomenten dazu bei, den Würfel über die kritische Kante zu kippen.
Der Standsicherheitsfaktor
Die Aussage „das Standmoment ist größer als das Kippmoment“ reicht oft nicht aus. Man möchte nicht nur wissen, ob die Kippgefahr ausgeschlossen ist, sondern auch, welche Reserven zur Verfügung stehen. Um eine präzisere Einschätzung der Stabilität zu ermöglichen, hat man als Bemessungsgrundlage den Standsicherheitsfaktor definiert:
Im ersten Beispiel beträgt der Sicherheitsfaktor ungefähr 1,4:
Im zweiten Beispiel hingegen ist der Standsicherheitsfaktor mit 0,51 kleiner als eins.
Der Standsicherheitsfaktor als Kenngröße hat dabei folgende Bedeutung:
Fall 1: Standsicherheitsfaktor kleiner als 1
Bei einem Faktor unter 1 besteht Kippgefahr. Die Maschine wird bei den vorliegenden Momenten umkippen.
Fall 2: Standsicherheitsfaktor gleich 1
Hier sind Kippmoment und Standmoment gleich groß, was bedeutet, dass die Maschine „wackelig“ steht. Diese Situation ist für den praktischen Einsatz ungeeignet, da die Kippgefahr nicht ausgeschlossen werden kann.
Fall 3: Standsicherheitsfaktor größer als 1
Ein Standsicherheitsfaktor über 1 zeigt an, dass keine Kippgefahr besteht. Je größer der Faktor, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Maschine umkippen wird.
Bei der Berechnung der Standsicherheit von Maschinen müssen neben den hier betrachteten statischen Kräften auch dynamische Kräfte, Handkräfte u. v. m. berücksichtigt werden. Die genaue Bestimmung der Standsicherheit variiert je nach Maschinentyp und wird in den anzuwendenden Normen beschrieben. So finden sich beispielsweise für fahrbare Hubarbeitsbühnen detaillierte Vorgaben in der DIN EN 280.
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